Frankreich und die Entnazifierung Deutschlands nach 1945

Frankreich und die Entnazifierung Deutschlands nach 1945

Veranstalter
Ministère de l’Europe et des Affaires étrangères; Deutsches Historisches Instituts Paris; Institut d’Histoire moderne et contemporaine ENS Paris; LabEx (EHNE – Écrire une histoire nouvelle de l’Europe); in Zusammenarbeit mit dem AlliiertenMuseum Berlin und der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus Rhöndorf
Veranstaltungsort
Deutsches Historisches Institut Paris und Centre des Archives diplomatiques La Courneuve
Ort
Paris
Land
France
Vom - Bis
22.03.2018 - 23.03.2018
Deadline
30.09.2017
Website
Von
DHI Paris

Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Potsdamer Abkommen (Juli–August 1945) setzten die Alliierten in ihren jeweiligen Besatzungszonen in Deutschland und Österreich eine Poli-tik der Entnazifizierung um, die zum einen die Bestrafung der Nationalsozialisten und zum anderen die Demokratisierung der deutschen Gesellschaft zum Ziel hatte. In diesem Zu-sammenhang wurde eine Säuberung auf unterschiedlichen Ebenen (Justiz, Verwaltung, verschiedene Berufszweige) durchgeführt. Diese Vorgänge sind schwer zu erfassen, da die Entnazifizierung von den Alliierten trotz ihrer ursprünglichen Übereinkunft in Potsdam und der gemeinsamen Erfahrung der Nürnberger Prozesse (1945/46) auf unterschiedliche Weise gehandhabt wurde. Selbst im Westen, wo es Tendenzen zur Homogenisierung der Vorge-hensweise, insbesondere in Bezug auf die Beteiligung der Deutschen selbst, gab, war die Entnazifizierung nie in verschiedenen Regionen und Berufszweigen einheitlich.

Die Entnazifizierungspolitik war ambitioniert, da sie nicht nur die strafrechtliche Verfolgung der von den Nationalsozialisten begangenen Verbrechen, sondern auch die Unschädlichmachung der Funktionseliten des Regimes und die Beurteilung der Verstrickung von mehr als 8,5 Millionen Deutschen, die Mitglieder der NSDAP gewesen waren, zum Ziel hatte und gleichzeitig die Rückkehr zur Demokratie begleiten sollte. Die Phase der Entnazifizierung der Behörden erwies sich jedoch als kurz, da sie bereits 1948 für beendet erklärt wurde, auch wenn sich einige Verfahren im Westen bis in die 1950er Jahre hinzogen und sich in der Bundesrepublik ein längerfristiger Rechtsstreit entwickelte. Wenn die Entnazifizierung im Westen im Nachhinein auch als zu begrenzt kritisiert wurde, war die Demokratisierung nach 1945 dauerhaft gesichert. Daher verlangt die Bewertung der Entnazifizierungspolitik nach einem differenzierten Urteil und trotz der bisherigen Arbeiten bleiben noch zahlreiche Teilbereiche zu untersuchen.

In der Forschung war die Entnazifizierung von Justiz und Verwaltung insbesondere in den 1980er und 1990er Jahren Gegenstand zahlreicher Studien entweder auf regionaler Ebene oder für die einzelnen Besatzungszonen. Zwar wurden auch vergleichende Untersuchungen durchgeführt, doch fehlt für die Entnazifizierung in der französischen Besatzungszone bis heute ein Gesamtüberblick und auch der Vergleich zum Umgang mit Kollaborateuren in Frankreich wurde in der Vergangenheit meist vernachlässigt.

Die unbeschränkte Öffnung der französischen Archivbestände über den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen (Entscheidung des Premierministers vom 24. Dezember 2015) sowie die Bemühungen der betreffenden Archive, den Zugang zu den Beständen der Verwaltung der französischen Besatzungszone mit mehr als 250 000 Entnazifizierungsakten zu erleichtern, eröffnen der Forschung heute neue Perspektiven.

Programm

Die Tagung hat das Ziel, unter Mitwirkung von Archivaren der betroffenen Bundesländer, sowohl eine historiographische Bilanz zu ziehen, als auch die in Deutschland und Frankreich verfügbaren, unveröffentlichten oder bisher außer Acht gelassenen Quellen zu präsentieren und mögliche neue Fragestellungen und Forschungsfelder zu bestimmen. Die Analyse von Theorie und Praxis der Entnazifizierungspolitik in der Französischen Besatzungszone soll in einem komparativen Verfahren (britische, amerikanische und russische Quellen) geschehen um etwaige Besonderheiten herauszuarbeiten.
Die Vorträge sollten die juristischen Bedingungen und Funktionsweisen der mit der Entnazifizierung beauftragten Jurisdiktion und Bürokratie untersuchen, doch besteht auch die Möglichkeit zu Fallstudien, basierend auf den Aussagen von Betroffenen und Zeitzeugen sowie der Aktenüberlieferung, um die französische Entnazifizierungspolitik zu veranschaulichen, bevor die Entscheidung den Spruchkammern der neuen Bundesrepublik übergeben wurde. Abgesehen von diesen individuellen Fällen, liegt daher ein weiterer Schwerpunkt der Tagung auf dem Aufbau und der Rekrutierungspraxis der deutschen Nachkriegsadministration. Die Tagung versteht sich auch als Beitrag zur Sozialgeschichte der entstehenden westdeutschen Demokratie. Die Entnazifizierung, die die gesamte Gesellschaft betraf, war Aufgabe der deutschen Verwaltung, die zwar Amtsenthebungen anstrengte, zugleich aber auch die Reintegration von Funktionären und deren Rechte in der Bundesrepublik frühzeitig garantierte, die unabkömmlich für den Wiederaufbau des Landes schienen.

Die Tagung bietet die Gelegenheit, die in den letzten Jahren von verschiedenen deutschen Ministerien in Auftrag gegebenen Untersuchungen vorzustellen. An Hand der Ergebnisse und nicht zuletzt des Vergleich zwischen der Praxis in der jungen Bundesrepublik und der DDR sollen die Möglichkeiten und Grenzen einer umfassenden administrativen Säuberung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in beiden deutschen Staaten der französischen Öffentlichkeit vorgestellt und diskutiert werden.

Die Tagung knüpft an die 2015/2016 vom AlliertenMuseum Berlin gezeigte Ausstellung »Who was a Nazi? Entnazifizierung in Deutschland nach 1945« an, bei der die Frage nach dem Beginn unter den Alliierten und der Weiterführung der Entnazifizierung durch die junge Bundesrepublik sowie die Reaktion der deutschen Öffentlichkeit auf diesen Prozess im Zentrum stand.

Wissenschaftlicher Beirat der Tagung:
Sébastien Chauffour (Archives diplomatiques de la Courneuve), Corine Defrance (CNRS, Labex EHNE), Stefan Martens (DHIP), Hélène Miard-Delacroix (Paris-Sorbonne, LabEx EHNE), Isabelle Nathan (Archives diplomatiques de la Courneuve), Marie-Bénédicte Vincent (Institut d’histoire moderne et contemporaine ENS)

Sprachen: Französisch, Deutsch, Englisch

Vorschläge mit Titel und Zusammenfassung des Vortrags im Umfang von 1500 Zeichen sowie Name, Titel, Institution und wissenschaftliche Arbeiten des Autors bitte bis zum 30. September 2017 zu richten an: colloque-international@dhi-paris.fr

Kontakt

Stefan Martens

Deutsches Historisches Institut Paris

colloque-international@dhi-paris.fr


Redaktion
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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Französisch, Deutsch
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